Ostern und die «Opferung Isaaks»

Abraham erhielt von Gott den Befehl, Isaak, seinen einzigen Sohn, den er liebhatte, zu opfern. Um es ganz krass zu vergegenwärtigen, was das heisst: Isaak wie ein Lamm rituell schlachten und auf dem Altar verbrennen. Gott stellte Abraham, als Er diesen Befehl gab, nur auf die Probe, doch dieser nahm Gott beim Wort. Richtig so, denn Gott nahm sich selbst sowieso beim Wort, wenn auch in einem viel grösseren Geheimnis.

So können wir die verstörende Geschichte in Genesis 22 rückblickend vom Karfreitag her lesen und die Kreuzigung Jesu im Alten Testament prophezeit finden. Auch Marc Chagall scheint von dieser Verbindung zu wissen:

Man beachte die rechte obere Ecke im Bild «Die Opferung Isaaks» von Marc Chagall!

Doch das Geheimnis ist noch grösser und unfassbarer! Ich glaube, von Genesis 22 führt nicht nur eine Linie zum Karfreitag, sondern auch zum Ostermorgen!

Weshalb spricht man von der «Opferung Isaaks», obwohl ja Isaak gar nicht geopfert worden war? Vielleicht deshalb, weil Abraham seinen Sohn – als der Herr im letzten Moment einschritt und ihn zurückhielt – innerlich bereits geopfert hatte. Er hatte das Messer bereits ausgestreckt, er hatte in sich bereits niedergerungen, was dagegen sich aufbäumte! Und Gott rechnete ihm diese Tat – nämlich dass er bereit gewesen war, Ihm das Allerliebste wieder zurückzugeben – an, als ob Abraham seinen Sohn tatsächlich geopfert hätte. Doch wenn er ihn bereits «geopfert» hatte, musste der glückliche Ausgang der Geschichte nicht wie eine Auferstehung von den Toten sein? Das ist die psychologische Deutung.

Und dann gibt es noch eine prophetisch-heilsgeschichtliche Deutung. Weshalb hat Gott dem Abraham überhaupt diese grösstmöglichste Prüfung auferlegt? Ich denke, weil Er ihm zutraute, sie zu bestehen – indem er das Geheimnis erahnen sollte, das Gott bewegte. Jetzt wird es ganz spannend! Gott vertraute gewissermassen darauf, dass Abraham seine Hintergedanken erahnen wird. So kann man den Kommentar zur «Opferung Isaaks» im neutestamentlichen Hebräerbrief deuten:

«Er [Abraham] rechnete damit, dass Gott auch die Macht habe, [ihm seinen Sohn] von den Toten zu erwecken» (Hebräer 11, 19).

Deshalb ist die unermessliche Prüfung, die Gott dem Abraham stellte, nicht unmoralisch oder unverständlich von Gott – im Gegenteil, sie ist ein Fenster in Gottes Liebe. Als Abraham mit Isaak zum Opferberg pilgerte, ergab das tagelange fieberhafte Rechnen in seinem Kopf immer wieder dasselbe Ergebnis: Auferstehung von den Toten! Gott hatte dem Abraham vertraut, und dieser vertraute Gott. Er gehorchte Gott nicht blind und fanatisch, wie die «Opferung Isaaks» heute oft missverstanden wird. Abraham gehorchte Gott, weil er ihn kannte und ihm alles zutraute (auch wenn er es noch nicht ganz verstand), nur nicht das Böse!

Gott wollte den Vater der gläubigen Völker einweihen in seinen Plan, wie man halt seinen Freund (vgl. Jakobus 2, 23) in ein Geheimnis einweiht. Gott gab vor, etwas von Abraham zu verlangen, dass er es tue, um es dann selbst zu tun. Er opferte Jesus, seinen einzigen Sohn, den er liebhatte. Und Er wusste schon 2000 Jahre vor Christus, dass Er ihn von den Toten auferwecken würde.

Wie ein geopfertes Lamm in alttestamentlichen Opferritualen – symbolisch – die Sünden von Menschen trug, so trug der Sohn Gottes die Sünden der Welt – jedoch nicht bloss symbolisch, sondern real. Wie Isaak seinem Vater – psychologisch gesehen – aus den Toten neu geschenkt worden war, so wurde Jesus – real und leiblich – aus dem Tod auferweckt.