Applaus am Ende des Gottesdienstes?

In vielen evangelisch-reformierten Kirchen der Deutschschweiz wird im Gottesdienst nach dem Ausgangsspiel geklatscht. Wie der Name verrät, war das Ausgangsspiel einmal gedacht als Hintergrundmusik zum Hinausgehen in die neue Woche. Irgendwann begann man, beim Ausgangsspiel sitzen zu bleiben und am Ende zu klatschen. Adressat des Applauses ist wohl der Organist, und manche Organisten quittieren den Applaus auch mit einem Kopfnicken, das als Andeutung einer Verbeugung zu deuten ist. Mich würde interessieren, wann der Applaus in der Kirche Einzug gehalten hat und wie damals Pfarrpersonen, Gottesdienstteilnehmer und Musiker darauf reagierten. Wurde die Einführung liturgietheologisch begründet? Wie kam es dazu?

Mein Kollege Pfr. Daniel Kunz und ich sind der Meinung, dass Applaus normalerweise nicht in den Gottesdienst gehört, vorallem nicht an dessen Abschluss, und wir haben dazu drei Thesen veröffentlicht. Wir sind nicht abgeneigt, in Ausnahmefällen die Gemeinde bei den Mitteilungen zum Applaus gegenüber den Musikern einzuladen, so wie man sich hier manchmal bei den Mitwirkenden bedankt. Die Reaktion auf unsere Thesen zeigten, dass für viele Gottesdienstteilnehmer der Applaus in unserer Zeit selbstverständlich geworden ist. Es fällt ihnen schwer, sich davon zu trennen. Andere sind dankbar und hatten schon immer gespaltene Gefühle beim Applaus.

Dazu noch eine allgemeine Reflexion: Das Ende offenbart das Wesen einer Sache. Das ist im Handwerk des Geschichten-Erzählens so. Das Ende zeigt, woraufhin eine Geschichte immer schon angelegt war. Vom Ziel der Story lässt sich eine Dramaturgie aufbauen. Das ist aber auch im christlichen Leben so:

«Ihr Lieben, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht zutage getreten, wer wir sein werden. Wir wissen aber, dass wir, wenn es zutage tritt, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist» (1. Johannesbrief 3, 2, Zürcher Bibel).

Das christliche Leben ist ein Leben auf das Ziel hin, auf die Begegnung mit dem Auferstandenen. Von diesem Ziel her wissen wir, wer wir sind. Nochmals: Am Ende wird die Wahrheit offenbar. Angewendet auf die Liturgie: Wenn Applaus auf das Ausgangsspiel folgt, dann setzt es doch den Schlusspunkt und definiert damit den ganzen Gottesdienst. Ist es dann nicht so, dass der Applaus rückwirkend den ganzen Gottesdienst zu einer menschlichen Performance degradiert?

Es geht dann darum, dass wir unseren Glauben ausdrücken, dass fromme oder erhabene Gefühle durch die Musik angeregt werde. Der religiöse Mensch steht im Zentrum. In der Fachsprache: Der Applaus am Ende verrät ein anthropozentrisch-expressives Verständnis des Gottesdienstes. Luca Baschera («Hinkehr zu Gott», 2017) stellt diesem Verständnis das «theozentrisch-metanoetischen» Verständnis des Gottesdienstes gegenüber, das mit der altkirchlichen und reformatorischen – aber vorallem biblischen – Theologie besser übereinstimmt. Metanoetisch heisst: Im Sinne der Metanoia, der Umkehr zu Gott, die er initiiert hat und bewirkt durch seinen Geist. Der Gottesdienst sollte die Begegnung Gottes mit seinem Volk durch sein lebendiges, wirksames Wort und Sakrament sein. Musik muss im Dienst der Liturgie stehen. Das erste und das letzte gesprochene Wort im Gottesdienst (Begrüssungs- und Segenswort) sollten aus der Bibel sein. Der Segen ist der Schlusspunkt des Gottesdienstes, nicht das Ausgangsspiel.

Hier also unsere Thesen:

1.) Die Gemeinde ist kein Publikum. In einem Konzert oder Vortrag ist das Klatschen die einzige Möglichkeit für das Publikum, anders als passiv (rezeptiv) teilzunehmen. In einem Gottesdienst sind wir aber nicht Publikum. Wir nehmen aktiv teil – mit dem ganzen Leib beim gemeinschaftlichen Singen, Bekennen, Beten und beim Abendmahl, innerlich (aber dennoch beteiligt) beim Hören auf Gottes Wort, durch die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

2.) Der Gottesdienst ist keine Darbietung, die Ehre gehört allein Gott. Alles im Gottesdienst soll zur Ehre Gottes dienen. Soli Deo Gloria, allein Gott sei alle Ehre, steht mancherorts sogar auf der Orgel! Wir spielen auch «weltliche» Musik (Chopin, Mozart etc.) im Gottesdienst und «beschlagnahmen» sie damit für die Königsherrschaft Gottes. Natürlich ist das manchmal eine Gratwanderung. Je perfekter die Musik, desto eher neigen wir dazu, sie nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Selbstzweck zu sehen. Die «Beschlagnahmung» geht nur mit der Ausrichtung auf Gott durchs Wort und Gebet. Applaus stellt die menschliche Darbietung ins Zentrum, vorallem, wenn Applaus den Gottesdienst abrundet, sozusagen den Punkt setzt. Vielleicht sagt ihr: «Wir klatschen nicht, um Menschen zu ehren, sondern als Ausdruck der Freude, für Gott!» Doch Applaus hat eine bestimmte Bedeutung in unserer Kultur. Applaus ist Antwort eines Publikums auf eine Darbietung.

3.) Applaus macht mehr Applaus nötig. Wenn andere klatschen, klatscht man mit. Und wenn man es sich angewöhnt hat, immer zu klatschen, wird die Stille zuerst vielleicht nach Leere wirken. Doch das ist vorallem eine Gewohnheitsfrage. Es wäre eine Ermahnung an uns, dass wir Gottes Wort in uns mehr Raum geben, damit sein Echo in der Stille nachhallen kann.