«Wenn ich deinen Himmel betrachte» – Predigt zu Psalm 8

Dem Vorsänger. Auf der Gittit. Ein Psalm Davids.
HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde,
der du deine Hoheit über die Himmel gesetzt hast!
Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein Lob bereitet um deiner Bedränger willen,
um den Feind und den Rachgierigen zum Schweigen zu bringen.
Wenn ich deinen Himmel betrachte, das Werk deiner Finger,
den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
Was ist der Mensch, dass du an ihn gedenkst,
und der Sohn des Menschen, dass du auf ihn achtest?
Du hast ihn ein wenig niedriger gemacht als die Engel;
mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt.
Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht;
alles hast du unter seine Füße gelegt:
Schafe und Rinder allesamt, dazu auch die Tiere des Feldes;
die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was die Pfade der Meere durchzieht.
HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!
Psalm 8, 1–10 (SLT)

Liebe Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus
Liebe Suchende und am christlichen Glauben Interessierte

Haben sie es auch schon bemerkt? Die Vögel des Himmels werden jedes Jahr weniger. Es fällt immer mehr Menschen auf, dass das Singen der Vögel abnimmt. Die Zeitungen schreiben darüber, aber es ist eine Tatsache, die man selbst erfahren kann: Die Vögel verschwinden in unseren Ländern und das Morgenkonzert verstummt. Das, was die Pfade der Meere durchzieht, wie es so poetisch heisst in diesem Psalm, wird von riesigen Fabrikschiffen abgeschröpft – und zwar in einem solchen Ausmass, dass bald nichts mehr die Pfade des Meeres durchzieht.

Im letzten September waren unerträgliche Nachrichten in den Medien: Auf den Faröer-Inseln wurden an einem Tag 1400 Delphine getötet. Das, was so stolz die Pfade der Meere durchzieht, wird mit Motorbooten in eine Bucht getrieben und dann in die Sackgasse gejagt, ins seichte, blutrot gefärbte Wasser, wo betrunkene Männer auf sie warten und sie abschlachten. 1400 Delphine, eine ganze Population, an einem Tag ausgelöscht, was für eine Orgie der Gewalt!

Ich bin ein Kind der 80er Jahre. Ich kann mich zwar nicht bewusst an die Tagesschau-Meldungen zur Atomkatastrophe 1987 in Tschernobyl erinnern, aber die Stimmung war immer da: Wir Menschen sind vom Weg abgekommen, wir zerstören die Schöpfung, wir schaffen den Untergang. Ich glaube, das ist eine der prägendsten Erzählungen in unserer Kultur heute. Und sie stimmt ja auch, zu einem Teil. Das Verstummen der Vögel, das Verschwinden der Bienen sind keine Fake News. Das Aussterben vieler Tierarten ist ein Fakt.

Ich behaupte jetzt einmal, die meisten Menschen in unserer Kultur zucken beim Beispiel der Delphine nicht gleichgültig mit den Achseln. Im Gegenteil, ich bin kein Einzelfall, der die Nachricht kaum erträglich fand, ich bin hier völliger Mainstream. Viele Menschen in unserer Kultur glauben in ihrem Herzen, dass wir Menschen schädlich sind für die Natur, ja sogar, dass wir schlecht und böse sind. Sie empfinden Schuld gegenüber der Natur. Der Schweizer Rapper Bligg bringt dieses allgemeine Gefühl in seinem Lied «Sorry, Mama» zum Ausdruck. Hören sie es auf Youtube an:

Es heisst in diesem Lied:

Hey Mama
Es tuet mehr weh was ich gseh, Mama
Du hesch mer stehts Bedinigslosi liebie geh, Mama
Es isch unerträglich müässe s’gseh
Wie im gheime brüelsch
Denn selbsch wenn am Bode liisch
Tretted’s dich mit beidä Fuäss

Mama verzei euis
Mir wüssed nöd was mer mached
Wüssed nöd was mer mached
So viel z’lang nümme hei cho
Mir wüssed nöd was mer mached
Wüssed nöd was mer mached

Die Mutter, der Bligg sein Lied widmet, ist die Natur. Man kann es nicht anders sagen: Hier wird religiöse Sprache verwendet. In unserer Kultur empfindet kaum jemand Schuld gegenüber Gott, aber dafür umso mehr gegenüber der Natur.

Hier lebt so etwas wie eine Form von Religion fort (oder sogar neu auf?), aber es ist nicht mehr die christliche Religion. Hier bittet man nicht mehr den Vater im Himmel um Verzeihung, sondern die Mutter-Erde. Ja, viele Leute, welchen dieses Lied aus der Seele spricht, würden sofort unterschreiben, dass das Christentum wesentlich verantwortlich ist für die Umweltzerstörung der letzten 200 Jahre. Heisst es denn nicht: Herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel (Genesis 1,28)? Davon hört man ja auch ein Echo im Psalm 8.

Um auf diese Fragen einzugehen, möchte ich an den nächsten Sonntagen eine kleine Predigtserie machen über die Schöpfungspsalmen – also diejenigen Psalmen, welche Gott loben und über Gott nachdenken in Bezug zu seiner Schöpfung, also das, was wir heute Natur nennen. Ich möchte drei Beobachtungen zum Psalm 8 mit ihnen teilen:

1.) Die Natur bezeugt Gott

Dieser Psalm ist ein Lied, das David singt in der Nacht. Er blickt in die Sternenwelt und kann nicht anders als staunen über Gott. Er schaut in die Schöpfung – und sieht Gott. Aber anders als der Pantheismus, welcher lehrt, dass Gott identisch ist mit dem Universum, sieht der Mensch der Bibel Gott hinter bzw. über der Natur. Das Universum ist das Werk deiner Finger. Das ist typisch für die poetische Sprache dieses Psalms, der mit Kontrasten arbeitet. Der Finger ist eines der kleinsten Körperteile. Das unheimlich grosse Universum hat Gott mit seinem Finger bewirkt, d.h. er ist umso grösser.

Weil Gott alles geschaffen hat, deshalb zeugt sein Geschöpf von ihm. Gott hat seine Hoheit über die Himmel gesetzt, d.h. am Himmel zeigt Gott seine Größe und Kraft und Herrlichkeit. Das ist eine Erfahrung, die auch wir machen können. Wir wissen sogar viel mehr als die Menschen damals über das Universum, und alles, was wir wissen, macht das Geheimnis nur noch grösser. Wir wissen noch viel besser, wie unheimlich gross und wie schön das Universum ist. Man muss schon etwas abgestumpft sein, wenn man beim Blick in die Sterne nicht die Frage stellt: Was ist das alles? Warum gibt es das? Warum sind wir hier?

Oder nehmen wir den Blick von den Sternen weg zu den Pflanzen und unbelebten Elementen der Erde: Warum ist das so schön? Ist es nicht seltsam, dass wir in einer Welt leben, in der es so viel Schönheit gibt? Woher kommt dies alles? Und warum haben die Schneekristalle Muster, die nur mit mathematischen Formeln erklärbar sind? Und warum ist nur unser Planet so ein Paradies, wenn man ihn vergleicht mit den Fotos vom Mars?

Natürlich, unsere Kultur sagt: Wegen der Evolution. Es gibt das alles wegen der Evolution. Aber das ist keine echte Antwort. Die Evolution erklärt ja nicht einmal in den Augen ihrer Vertreter, warum es etwas gibt, warum es Schönheit gibt, warum es Gemeinsinn gibt unter den Delphinen, der unser Herz erfreut? Sie sagen letztlich: Es ist sinnlos, diese Fragen nach dem Warum? zu stellen. Aber wir tragen diese Frage halt in uns.

Die Bibel sagt an verschiedenen Stellen: Wir Menschen können anhand der Natur sehen, dass da ein Gott ist. In begrenztem Ausmass offenbart sich Gott in der Natur. Deshalb haben wir keine Entschuldigung, wenn wir so leben, als wäre da kein Gott (vgl. Röm 1,20). Positiv gesagt: Es ist  gefährlich, wenn sie Atheist sind, sich mit diesen Gedanken zu befassen. Sie könnten an einen Punkt kommen, wo sie eingestehen müssen, dass Gott eine Spur gelegt hat, die zu ihm führt.

2.) Der Mensch ist König in der Schöpfung

Doch jetzt geht der Blick auf den Menschen, oder anders gesagt: Derjenige, der alles betrachtet, die Sterne, die Tiere, Pflanzen, Mineralien und Atome, merkt jetzt: Wir Menschen sind die Betrachter. Wir fühlen uns unbedeutend, verschwindend klein, verloren in Universum. Aber gleichzeitig sind es ja wir Menschen, die dies alles betrachten und dabei Gefühle haben. Dass das Universum gross ist, dass empfinden nur wir Menschen so, das Universum selbst empfindet nichts. Wer sind wir Menschen? Woher kommen wir? Das ist noch staunenswerter als die Natur.

Der Psalm 8 zitiert, wie gesagt, die Schöpfungserzählung, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, ihm ähnlich. Worin besteht die Ähnlichkeit? Dass wir einen Geist haben, dass wir Sprache haben. Das gibt uns die unheimliche Macht über die Tiere. Körperlich sind sie viel stärker, aber dank unserem Geist und unserer Sprache haben wir sie alle beherrscht. Dank unserem Geist können wir Computer erfinden, dank unseren menschlichen Fingern können wir ein Zehnfingersystem bedienen und damit Liebesbriefe schreiben. Dank unserem Geist sind wir frei und nicht Sklave unserer Instinkte.

Du hast ihn ein wenig niedriger gemacht als die Engel; die anderen Geschöpfe, die auch geistbegabt sind, sind die Engel, mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt. Gekrönt, das heisst, wir haben eine Krone, wir sind Könige auf der Erde. Gott hat das weite Universum tatsächlich nur für den Planeten Erde und für den Menschen geschaffen. Und wenn sie jetzt sagen: «Aber das ist doch lächerlich! Das ist eine Anmassung!», dann sind ihre Gedanken gar nicht so weit entfernt vom Psalmisten, der sich auch darüber wundert. Er sagt: Was ist der Mensch, dass du an ihn gedenkst, und der Sohn des Menschen, dass du auf ihn achtest? Ist es nicht verschwenderisch von Gott, ein Universum zu schaffen, damit die Menschen auf einem einzigen bewohnbaren Planeten leben können? Gott ist unfassbar gnädig, der uns diese Würde gegeben hat.

Das ist ein unfassbar positives Menschenbild. Das muss gesagt sein gegenüber jenem populären Trend, welcher die Menschheit für schlecht hält, welcher lieber sähe, die Menschheit würde untergehen und den Tieren Raum schaffen – so wie in Tschernobyl, das ein Naturparadies geworden ist, nachdem die Menschen es zur verbotenen Zone gemacht haben. Der Mensch ist ein Bild Gottes. Es ist wunderbar, ein Mensch zu sein. Es ist eine Gnade. Es ist königliche Würde. Nehmen sie sich das zu Herzen, wenn sie leiden unter Minderwertigkeitsgefühlen!

3.) Der Mensch Jesus Christus ist das Mass aller Dinge

Wenn wir den Psalm so lesen, dann könnte man meinen: Hier wird der Mensch gefeiert. Hier wird das Lob Gottes zu einem Lob des Menschen. Man könnte dann den Satz, Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein Lob bereitet um deiner Bedränger willen, so deuten, dass der Mensch als Kind eben noch unverdorben und gut ist. «Der Mensch ist das Maß aller Dinge.» Aber so einfach ist es nicht. David weiss, dass Gott Bedränger hat, dass die Menschen, welche Gott loben, einem Feind und Rachgierigen gegenüberstehen.

Gerade wegen der königlichen Stellung des Menschen war der Fall umso tiefer. Gerade, weil der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, weil er frei geschaffen ist, konnte er sich auflehnen gegen Gott. Erst weil der Mensch geistbegabt ist, kann er überhaupt die Schöpfung so zerstören und schänden. Wie kann der Psalm so unkritisch ein Loblied auf den Menschen singen und auf die Schöpfung? Hat er keine Ahnung davon, wieviel Zerstörung der Mensch in ihr hinterlässt?

Dieser Psalm hat ein Geheimnis, welches erst das Neue Testament aufdeckt (vgl. Hebr 2,5f.). Dieser Mensch schlechthin, dieser Sohn des Menschen ist Jesus Christus. Er ist der zweite Adam, der Mensch, den Gott gemeint hat, das Ziel der Wege Gottes mit der Menschheit, der wahrhaft königliche Mensch. Jesus Christus wird die Welt vollenden in einer Weise, welche auch die Umweltzerstörungen wieder gutmachen wird. Und wer ihn zum Vorbild hat, wird der sterblichen Schöpfung ihre Würde zugestehen und die Natur nicht achtlos und rücksichtlos behandeln.

Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein Lob bereitet um deiner Bedränger willen – Jesus zitierte diesen Satz (laut Mt 21,15), als er im Tempel von Kindern gefeiert wurde. Wer die Königsherrschaft Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen! (Mk 10, 15). Nicht das Kind an sich ist der unverdorbene, ideale Mensch, sondern die Offenheit der Kinder für Jesus Christus ist das Vorbild.

Der Blick ging vom weiten Universum auf den kleinen Menschen. Was ist der Mensch, dass du an ihn gedenkst? Das ist ein «Weihnachtspsalm», wie der Alttestamentler Wilhelm Vischer schrieb. Gott wird Mensch, um einer verlorenen Menschheit ihre Bestimmung wiederherzustellen. Wie stehen sie zu Jesus Christus? Haben sie ihn begrüsst, sind sie froh geworden über ihm? Er ist der wahre Mensch. Amen.