Gott als «Mutter» anrufen?

Im Artikel «Der Gott, das Gott oder die Göttin?», der am 21. Februar 2022 im Zürcher Oberländer erschienen ist, werden einige Aussagen gemacht, denen ich zustimme, z.B. dass Gott weder ein Mann noch eine Frau sei. Doch leider muss ich meinen Pfarrkollegen widersprechen, wenn sie den Anschein erwecken, in der Bibel werde Gott genauso «Vater» wie «Mutter» oder sogar «Motte» genannt. Das entspricht nicht den Fakten.

Es gibt in der Bibel einen Unterschied zwischen der Sprache, die für bestimmte Eigenschaften Gottes bildhafte Vergleiche sucht, und andererseits der Sprache, die für die direkte Anrede Gottes (2. Person Singular) verwendet wird. In die erste Kategorie gehört der Vergleich von Gottes Strafe mit dem Zerstörungswerk einer Motte im Kleiderschrank (Ps 39,12). Gewisse Charakterzüge Gottes werden mit weiblichen Gestalten wie z.B. einer stillenden Mutter verglichen. Das sind schöne Stellen, aber man kann sie an einer Hand abzählen. Doch niemals wird Gott als «Göttin», «Mutter», «Königin», «Gebärerin» (geschweige denn «Motte») in der 2. Person angerufen. Und das ist das Entscheidende. Der lebendige Gott der Bibel tritt aus freier Entscheidung mit uns Menschen in Beziehung, er gebietet uns, er ruft uns – damit wir antworten und ihn anrufen. «Vater» und «Herr» sind nicht nur Vergleiche, sondern Namen, die Gott selbst wählte, damit wir ihn so anrufen/anbeten. Diese Namen stehen im Zentrum der biblischen Offenbarung.

Das bedeutet aber nicht eine göttliche Bestätigung aller irdischen patriarchalischen Verhältnisse. Die «Väter» und «Herren» auf der Erde sollen sich ein Beispiel nehmen am «Vater im Himmel» und dem «Herrn» Jesus Christus. Die Anrufung einer «Heiligen Geistkraft» hilft dagegen nicht, ungerechte Mann-Frau-Verhältnisse zu bekämpfen, denn damit wird der Heilige Geist, unser Schöpfer und unser Gegenüber, sächlich und unpersönlich.

PDF des Zeitungsartikels