Jochen Klepper hatte evangelische Theologie studiert, wurde dann aber nicht Pfarrer, sondern freier Schriftsteller. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten spitzte sich wegen seiner Ehe mit einer Jüdin der Kampf um seine Ehe und um seine Existenz als Schriftsteller immer weiter zu – bis zu einem tragischen Ende. Als die Deportation seiner Frau und Tochter kurz bevorgestanden wäre, nahmen sich Jochen Klepper, seine Ehefrau Joanna Stein und eine Tochter – der anderen Tochter war die Emigration nach Schweden gelungen – zusammen das Leben. Auch wenn wir vom christlichen Standpunkt Suizid für nicht erlaubt halten, sollten wir uns dennoch zurückhalten im Urteil ihm und seiner Familie gegenüber und ihn als christlichen Schriftsteller nicht abschreiben.
Jochen Klepper hinterliess einige heutzutage vergessene Romane, einige bekannte geistliche Lieder, die in unsere Gesangbücher aufgenommen wurden, und ein Tagebuch, das immer wieder aufgelegt wurde und als wichtiges nonfiktionales christliches Dokument der Nazizeit gelten darf.
Jochen Klepper hat auch einen sehr interessanten Essay publiziert, «Der christliche Roman», worin er die Berufung eines Christen zum Romanschriftsteller erörtert.
Kleppers theologische Poetik beginnt mit einer Erinnerung an die christliche Freiheit in Anlehnung an das Wort des Apostels in 1Kor 3, 21–23: «Es ist alles euer». Man kann daraus folgern: Auch das Romanschreiben ist euer. Auch die Erzählkunst ist geschaffen von Gott. Das ist wichtig zu hören für gewisse fromme Christen, welche eine Mentalität entwickelt haben, welche jeder Kultur und Kunst skeptisch bis ablehnend gegenüber steht.
Klepper zählt dann drei verschiedene Idealtypen des christlichen Romanschriftstellers (Epikern) auf. Vom ersten bis zum dritten Typ ist der christliche Glaube zunehmend die bestimmende Orientierung.
Die Welt in ihrer Erlösungsbedürftigkeit sehen
Der erste Typ entspricht dem Motto «Als Künstler bin ich ganz unchristlich; als Christ bin ich ganz unkünstlerisch» des Theologen und Schriftstellers Friedrich Schleiermachers. Schleiermacher ist der Vater der liberalen Theologie. Es ist aber gut reformatorisch, dass dem Christen die ganze Welt freigestellt ist nach dem erwähnten Pauluswort. Christliche Erzählkunst diesen Typs unterscheidet sich nicht von derjenigen der Nicht-Christen. Der Christ handelt ganz gemäss der Ordnung der weltlichen Erzählkultur, und er oder sie hat nach dem evangelischen Berufsverständnis die Freiheit dazu. Es müssen keine besonderen biblischen oder christlichen Stoffe gewählt werden. Der Erzähler arbeitet in der Konvention des modernen Romans – im Weltbild der Immanenz. Gemäss Klepper könne ein Roman trotz dieser Konvention dadurch christlich werden, dass Dämonie, Melancholie und Tragik als Ferne von Gott, als Sünde gezeichnet werden. Die diesseitig orientierte Kunst zeigt die Erlösungsbedürftigkeit der Welt auf. Die Welt wird von der Christin und dem Christin mitgetragen und erlitten.
Auch der Erzähler des zweiten Typs beschreibt die Welt in ihrer Erlösungsbedürftigkeit, wie sie aus der Sicht des christlichen Glaubens ist. Aber er geht einen Schritt weiter, er beschreibt auch das Reich Gottes. Beiden Seiten soll der christliche Epiker, was die künstlerische Eindringlichkeit betrifft, das genau gleiche geben:«Er muss den Wucherer und Verschwender dieser Erde genauso echt und teilnahmsvoll gestalten wie den getreuen Haushalter im neutestamentlichen Sinne. Er hat sich dem Eros zu verschreiben, wie von der Agape ergriffen ist. Er wird fähig sein, als Künstler zu der Welt zu verlocken, die er als Christ zu überwinden trachtet und die er nur zu ertragen vermag, weil er sie von Jesus Christus überwunden weiß.»
Die Gestaltung des Reiches Gottes ist nun nicht seinem freien Ermessen, seiner Phantasie, anheimgestellt. Hier kommt also bereits das Thema der Nonfiktionalität ins Spiel.
Der Erzähler als Zeuge
Der dritte Typ des christlichen Erzählers ist der Künstler schärfster christlicher Prägung. Zweifellos sah Jochen Klepper sich selbst in diesem Typ. Dieser christlichen Erzähler hört nicht nur: «Alles ist euer», sondern liest weiter im Paulusbrief: «Ihr aber seid Christi». Hier wird nicht mehr danach gefragt, worin die Freiheit und Möglichkeit des christlichen Erzähler bestehe. Hier geht es um innere Notwendigkeit:
«Der Dichter in aller ihm gewährten Freiheit des Künstlertums wird zum Knecht des göttlichen Wortes.»
Was wird dieser christliche Epiker erzählen? Dieser christliche Epiker ist überwältigt von der Wirklichkeit. Er ist eigentlich nonfiktionaler Autor. Das wichtigste Thema ist ihm gemäss Klepper die Führung Gottes. Gott handelt in der Welt. Die echte Welt ist die Geschichte. Gottes Handeln kann aber nicht ausgedacht werden. Sich Gottes Handeln in der Welt auszudenken, käme einer ungehörigen Verdoppelung der wahren Welt gleich, einer Untergrabung der Einmaligkeit der wahren Geschichte. Es kann nicht ausgedacht, nur beobachtet werden, der Wirklichkeit abgelauscht werden. Dieser Erzähler ist mehr als alles andere Zeuge. Der Zeuge ist ein nonfiktionaler Erzähler. Klepper sah den historischen Roman als besonders geeignet für diese Art von Epik an, wie er ihn selbst – vermutlich auch als Ausdruck der inneren Emigration – praktiziert hat, aber längst nicht nur. Alles gelebte Leben kommt für Klepper in Frage. Im historischen Roman können naturgemäss nur bekannte Menschen beschrieben werden. Eine nonfiktionale Erzählkunst, welche sich der Gegenwart zuwenden würde, könnte das Drama im verborgenen Leben eines unbekannten Menschen zeigen. Das praktische Problem, das sich Klepper stellt, ist nur «dass es eben sehr schwer sein wird, von diesem Leben zu wissen und echt davon zu berichten.» Wenn noch Zweifel daran herrschen sollte, ob Klepper wirklich in nonfiktionalen Bahnen denkt, so dürfte dieses letzte Zitat diese Zweifel zerstreuen.
Doch ist nicht Gott allein der Herzenskenner? Ist es nicht das Handeln und Reden Gottes oft schwer zu erkennen, wenn überhaupt? Ist es nicht die alte Verführung der Schlange, sein zu wollen wie Gott – und im Leben meines literarischen Geschöpfs Gutes und Böses zu erkennen? So fragt sich Klepper selbstkritisch. Klepper gibt die Möglichkeit des Irrens zu und bezeichnet diese als «schwere Verfehlung», für die der christliche Epiker auf göttliche Vergebung angewiesen sei. Er sucht nach einem Ausweg aus der Selbstanklage:
«Da bleibt dem Dichter nur die demütige Bitte: ‹Lass meinen Gang gewiß sein in deinem Wort und laß kein Unrecht über mich herrschen.›»
Weiter nach einer Antwort suchend, dreht Klepper das Schleiermacher-Zitat jetzt bewusst um. Ein solcher Künstler müsse ganz Christ sein und als Christ ganz unkünstlerisch. Die Kunst muss also unkünstlerisch sein, gewissermassen sich selbst verleugnen. Aber gerade in der «äussersten Beschränkung und Beugung», in der Selbstaufgabe der epischen Dichtung erlange diese gemäss Klepper «ihren höchsten Inhalt», also ihre Bestimmung. Die Eigengesetzlichkeit der Welt wird durch Christus transformiert. Nur der Glaubende könne Erzähler in diesem Sinn sein:
«Die Darstellung eines Lebens unter Gott im christlichen Roman wird nur dem möglich, der die Glaubenserfahrung besitzt, was Gott an der Menschenseele getan hat. […] Im christlichen Roman geht es um Erfahrungsgut, von dem nur der Glaubende weiss.»
Auch das christliche künstlerische Werk besteht also nicht im Schauen, sondern nur im Glauben. Deshalb sei es ein Wahn, so Klepper, wenn ein Künstler meint, er könne vor Gott auf sein Werk pochen. Das Werk des Künstlers soll auf Jesus Christus blicken. Von diesem geschehe ihm Erlösung, auch wenn sein Werk unter das Gericht Gottes fallen sollte.