Das «Lied der Lieder» am ESC in Basel

Wegen der offenen Ablehnung der israelischen Vertreterin beim letztjährigen ESC in Malmö hatte eine Schweizer Kleinstpartei mit christlichem Profil, die EDU, ein Referendum gegen die Durchführung in Basel eingereicht – der Stadt, wo im Jahr 1897 unter der Leitung von Theodor Herzl der erste Zionistische Weltkongress stattfand. Die Partei war nicht nur durch den Israelhass alarmiert, sondern auch wegen der Ikonographie mindestens eines Auftrittes, welche sie als okkultistisch deutet.

Die Bürger des Kantons Basel-Stadt haben in einem demokratischen Entscheid jedoch beschlossen, dass der Eurovision Song Contest bei ihnen stattfinden soll.

In Basel wird die Sängerin Yuval Raphael ihr Land Israel mit dem Lied «New Day Will Rise» vertreten. Yuval Raphael ist eine Überlebende des Terroranschlags der Hamas auf das Nova-Musikfestival. Sie überlebte, weil sie sich unter Leichen versteckte.

Man kann nicht anders, als das Trauma des 7. Oktobers 2023 als Hintergrund zu sehen ihres Liedes, das von einem «Neuen Tag» handelt, bei dessen Anbruch die «Finsternis vergehen wird» und «alles Leid überwunden sein wird».

Als Filmemacher fällt mir die Ästhetik des Musikvideos auf. Mir gefällt die Bildqualität sehr und ich trauere für einen Moment meiner Digital Bolex nach, die ich verkauft habe. Sie könnte, neben echtem 16mm-Film, genau diese Ästhetik erzeugen.

Man kann die Bilder von Harmonie unter jungen Leuten und die feierlich aufgeladenen Worte im Lied als Kitsch abtun. Man kann sie aber auch ernst nehmen, gerade vor dem Hintergrund der Erlebnisse der Künstlerin mit dem Bösen.

Aus meiner Sicht lebt in den Liedzeilen – ob bewusst oder unbewusst – etwas von der Hoffnung und Lebensbejahung, welche der lebendige Gott in seinem aus Gnade erwählten Volk selbst «im Tal des Todes» lebendig erhält.

Diese Hoffnung lebt aus Gottes Treue trotz der Untreue seines Volkes, aus Gottes Liebe, die sich darin erweist, «dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren» (Römer 5,5). Oder eben mit einem anderen Wort: aus Gottes Erwählung.

Der Apostel Paulus, ein Jude, der durch das Damaskus-Erlebnis an den Messias Jesus gläubig geworden ist, schreibt, dass Gott seine Verheissungen gegenüber den Vätern des Volkes Israel bestätigt hat in dem Messias Jesus – und damit seine Treue erwiesen. Und alle anderen Völker sollen den Gott Israels verherrlichen, weil er auch ihnen in dem jüdischen Christus unverdientes Erbarmen schenkt. (Vgl. Römer 15,8–9).

Einige Kapitel vorher hat Paulus die ehemaligen Heiden, welche durch den Glauben an Christus jetzt auch zum erwählten Volk gehören, ermahnt, dass sie nicht hochmütig sein sollen gegenüber denjenigen Juden, welche (noch) nicht an den Messias Jesus gläubig geworden sind. Ihre Untreue wird Gottes Treue nicht aufheben (Römer 3,3).

Gottes Erwählung des jüdischen Volkes bleibt gültig und ist auf eine Erfüllung in der Zukunft angelegt. Paulus spricht im Kapitel 11 seines Briefes an die Römer von einem unfassbaren gnädigen Geheimnis, das mit der messianischen Zeit verbunden sein wird.

(Übrigens kann nur der Messias bei seiner Wiederkunft die messianische Zeit bringen – keine menschlichen Bemühungen, keine Politik, keine Staat, keine Liebeswerke, kein religiöser Eifer, keine guten Taten, keine böse Taten von uns Menschen, geschweige denn irgendwelche Form von Gewalt oder Krieg.)

Die Liedzeilen von Yuval Raphaels «New Day» enthalten Worte, welche als messianische Anspielung gedeutet werden können – wie gesagt: ob bewusst oder unbewusst so gewählt. In der hebräischen Bibel wird immer wieder von «jenem Tag» gesprochen, der kommen wird, eine gängige Benennung der kommenden messianischen Zeit. Diese hat begonnen mit der Ankunft des Messias Jesus, aber sie wartet noch auf ihre Vollendung.

Die messianische Deutung der Überwindung des Bösen durch die Liebe wird verstärkt durch ein Zitat aus der Heiligen Schrift. In der Bridge singt Yuval Raphael auf Althebräisch die Worte aus dem Buch Hohelied («Lied der Lieder»), aus dem Vers 8,7:

«Mächtige Wasser sind nicht in der Lage, die Liebe auszulöschen, und Ströme schwemmen sie nicht fort.»

Das «Lied der Lieder» ist einerseits ein poetisches Büchlein, bei dem Mann und Frau eines Liebespaars zu Wort kommen. Aus diesem Büchlein wird gerne bei Hochzeiten vorgelesen. Aber das Geheimnis ist gross: Christliche und jüdische Ausleger sahen in der Liebeslyrik dieses Büchleins, das dem König Salomon zugeschrieben wird, eine zweite Ebene: Die Treue und Liebe Gottes zu seiner «Braut», d.h. seinem erwählten Volk, welche in der messianischen Zeit mit ihrem «Hochzeitsfest» an ihr Ziel kommen wird – ein Thema, das im Alten und Neuen Testament breit abgestützt ist.